Im Libanon haben wir einen Skatepark gebaut. Dort trainieren mittlerweile 80 Kinder und Jugendliche. Zum Internationalen Kindertag stellen wir unser neuestes Projekt vor.
Von Simon Bethlehem
Bonn, 31.05.2024 – Wenn man so will, ist Aarsal ein trauriger Ort. Landschaftlich wunderschön in den Bergen des Antilibanon-Gebirges gelegen, in unmittelbarer Nähe zur syrischen Grenze, geht es für die meisten Menschen, die hier leben, nur darum, irgendwie durchzukommen.
Einen positiven Blick in die Zukunft wagt kaum jemand – nicht die rund 65.000 Syrer*innen, die seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges hierher geflohen sind und auch nicht die rund 35.000 Libanes*innen, die die Wirtschafts- und Währungskrise ihres Landes an den Rand der Armut gedrängt hat.
Besonders betroffen sind die Kinder und Jugendlichen, die kaum eine Perspektive für ein besseres Leben haben. Die libanesischen Kinder, weil sie aufgrund der Wirtschaftsmisere trotz guter Ausbildungsmöglichkeiten nur wenig Aussicht auf eine beruflich sichere Zukunft haben, und die syrischen Kinder, weil nur die wenigsten von ihnen überhaupt die Möglichkeit haben, gute Bildung zu erhalten. Ihnen ist der Zugang zu den Sekundarschulen, zu Ausbildungsplätzen, zu den Hochschulen weitestgehend versperrt. Sie sind hier aufgewachsen, viele sogar geboren, doch trotzdem ist es für sie kein Zuhause. Eine unbeschwerte Kindheit und Jugend haben sie an diesem Ort nicht.
Neugierig auf’s Skaten
Mit unserem Skateprojekt sollen die Kids Freude haben, wir wollen aber auch ihre natürliche Neugier ansprechen, ihr Selbstbewusstsein stärken und das Miteinander zwischen syrischen und libanesischen Kindern fördern.
Der Skatepark in Aarsal ist ein eher unübliches Projekt für die Grünhelme. Doch es ist wichtig, dass zu einer Kindheit nicht nur Bildung, sondern auch eben Spaß, das Entdecken von Neuem und Mut gehören. Gemeinsam mit der befreundeten NGO Skate-Aid von Titus-Gründer Titus Dittmann haben wir 2023 im Libanon einen ersten Skate-Workshop veranstaltet. Dafür hatten wir in unserer Tischlerwerkstatt mobile Rampen gebaut, Skate-Aid stellte Skateboards und Schutzausrüstung und schickte den Skater Gabriel Santos vorbei.
Und was soll man sagen: Die Kids liebten die Boards, das Interesse war riesig! Wir wussten nun, dass Skaten hier gut ankommt. So haben wir uns auf die Suche nach einem lokalen Partner und einem Ort gemacht, wo wir dauerhaft Skate-Sessions anbieten können – und wurden mit der libanesischen NGO Jousour al-Nour fündig. Diese betreibt bereits einen Fußball- und Basketballplatz. Nach einigen Bauarbeiten zur Überdachung eines Skateplatzes und dem Bau weiterer Rampen und Halfpipes konnten wir die Skateanlage im März 2024 eröffnen.
Unterstützung aus der Beiruter Skater-Szene
Aus der Beiruter Skaterszene haben wir mit Karam Saad einen libanesischen Skate-Trainer engagiert, der bereits in der Vergangenheit in Skate-Projekten in Syrien und Jordanien gearbeitet hat.
Durch seine lockere Art hat Karam einen tollen Draht zu den Kids. Wenn er selbst über die Rampen fährt oder Tricks vorführt, schauen sie gebannt zu.
Karam hat in den ersten Monaten zwei junge Männer aus Aarsal, Ali und Mohammed, als Skate-Trainer ausgebildet, da er nicht dauerhaft in Aarsal vor Ort sein kann. Im Mai hat zusätzlich der australische Skater Nigel Smith für vier Wochen als Freiwilliger vor Ort unser Projekt unterstützt.
Erste Schritte auf dem Board
Zuerst stehen immer die Basics auf dem Programm: Das richtige Stehen auf dem Board (Stance), das Losfahren (Pushen) und das Bremsen. Es geht auch viel darum, seine Angst zu überwinden und ein Gefühl für Körper und Gleichgewicht zu entwickeln. Und: Wer hinfällt, muss wieder aufstehen.
Es ist toll zu sehen, wie die Kids ganz unterschiedlich ihre ersten Geh-, Steh- und Fahrversuche unternehmen – manche draufgängerisch und ohne Scheu, andere sehr zögerlich und vorsichtig. Rund 80 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren sind es mittlerweile, die an den Skate-Sessions teilnehmen.
Zwei Skate-Talente
Zwei von ihnen sind Abdelkarim und Aissa. Sie sind beide zehn Jahre alt, leben im angrenzenden Camp und sind Skater der ersten Stunde in Aarsal. Als syrische Kinder gehen sie nachmittags zur Schule, sodass sie morgens Zeit fürs Skaten haben. Aber auch sobald die Schule vorbei ist, kommen sie im Vollsprint angerannt, um noch ein paar Minuten an den Nachmittagssessions teilzunehmen.
Während Abdelkarim eher der ruhige, überlegte und aufmerksame Junge ist, der sehr genau beobachtet, wie Trainer Karam auf dem Board steht, um sich die Techniken einzuprägen, ist Aissa eher der Laute, ruft viel über den Platz, probiert aus und liegt eben auch häufig auf der Nase. Dann schüttelt er sich und steht schneller wieder auf dem Board, als man ihm aufhelfen kann.
Beide können bereits ohne Probleme mit dem Drop-In die Rampe herunterfahren und in der Halfpipe skaten. Auch den Ollie haben sie schon drauf, also den Trick, bei dem man mit dem Skateboard in die Luft springt.
Wenn neue Kids hinzustoßen, bekommen Abdelkarim und Aissa von Karam die Aufgabe, sich um die Neuen zu kümmern, ihnen die ersten Schritte zu zeigen und mit helfender Hand zur Seite zu stehen. Abdelkarim macht dies eher lustlos, weil er lieber an seiner eigenen Technik feilen möchte, während Aissa gern hilft und sich auch berufen fühlte, mich als Nicht-Skater, mit Nachdruck aufs Board zu bekommen.
Miteinander statt gegeneinander
Diese Mentorenrolle, die Karam den beiden und noch einigen anderen fortgeschrittenen Kids zuweist, stärkt das Miteinander: Mit dem Projekt soll nicht nur Spaß vermittelt und eine Freizeitaktivität geboten werden, es soll auch Solidarität miteinander und Verständnis füreinander gefördert werden.
Gerade das Verhältnis zwischen libanesischen und syrischen Kindern und Jugendlichen ist konfliktbehaftet. In der krisenhaften Lage des Libanon werden die syrischen Geflüchteten von Politik und Medien immer wieder als Sündenböcke dargestellt, was viele libanesische Jugendliche aufgreifen und mit Verachtung auf die syrischen Gleichaltrigen herabblicken. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Gewalt, bis hin dazu, dass syrische Camps von libanesischen Jugendlichen angezündet wurden.
Nun zu beobachten, wie der zehnjährige Syrer Aissa, den sechzehnjährigen Libanesen Youssef an die Hand nimmt, ihm die technischen Grundlagen erklärt und Youssef dabei aufmerksam zuhört, macht Hoffnung, dass ein friedliches und aufgeschlossenes Miteinander möglich ist.
Vielen Dank
Neben unseren Spender*innen gilt unser Dank unseren Partnerorganisationen Skate-Aid und Jousour al-Nour, ohne die der Start und die Umsetzung nicht möglich wäre.
Skater gesucht
Wir suchen interessierte Skater*innen, die als Trainer*innen und Mentor*innen in Kurz- oder Langzeiteinsätzen in Aarsal den Kids zur Seite stehen.
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So unterstützen wir derzeit im Libanon
Der Krieg im Libanon ist auch in unserem Projektort Aarsal greifbar. Zwar fielen hier keine Bomben, aber tausende Familien aus anderen Teilen des Landes sind hierher geflohen. Die Grünhelme unterstützen mit Dieselöfen gegen die Kälte des Winters. Außerdem laufen unsere anderen Projekte weiter.
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