Die Grünhelme sind nicht einfach irgendeine Hilfsorganisation. Wir arbeiten und leben mit den Menschen in unseren Projektorten Seite an Seite, für- und miteinander. In unserem diesjährigen Weihnachtsbrief an Sie soll deshalb Khaled Bakkar zu Wort kommen, der im Libanon seit fünf Jahren unser Mitarbeiter und Freund ist.
Von Khaled Bakkar, Aarsal (Libanon)
Bonn/Aarsal, 21. Dezember 2022. Mein Name ist Khaled, aber alle kennen mich unter dem Namen Abu Feyrus. Ich bin syrischer Flüchtling. 2013 bin ich mit meiner Frau und meinen fünf Töchtern vor dem Krieg geflohen. Jetzt leben wir in der Stadt Aarsal im Libanon. Früher in Syrien hatten wir ein großes Haus mit Garten. Wir haben unser eigenes Gemüse angebaut. In Aarsal ist alles anders.
Hier mussten wir uns plötzlich zu siebt ein Zimmer teilen. Wir dachten zuerst, in ein paar Monaten ist der Krieg vorbei. Doch nach einem Jahr war er nicht vorbei, all unsere Ersparnisse waren aber aufgebraucht. Wir konnten uns das Zimmer nicht mehr leisten und zogen in ein Zelt. Hier leben wir heute noch immer, acht Jahre später, in einem Camp, das sich Wadi Swed nennt.
Die Tage im Camp sind oft ähnlich. Die Männer suchen sich Arbeit, um Geld zu verdienen. Häufig kommen Organisationen und stellen Fragen. Wie viele Personen leben im Camp, wie viele Kinder, wie viele Zelte gibt es? Sie kommen meist mit teuren Autos, tragen Hemden und Sonnenbrillen – und meistens kommen sie nicht wieder, nachdem sie viele Fotos gemacht haben.
Plötzlich selbst ein Grünhelm
An einem Tag im Winter 2017 kam meine Tochter Sarah zu mir und erzählte, dass wieder Ausländer im Camp sind. Normale Nachrichten. Aber mir fiel auf: Sie trugen Arbeitskleidung. Ihr Auto war klein, dreckig und hatte viele Beulen. Ich hatte das Gefühl, dass etwas anders ist. Aber auch sie stellten die gleichen Fragen wie alle anderen und jeder dachte, dass sie nicht zurückkehren würden.
Aber nach ein paar Tagen waren sie wieder da – mit Holz und Dachblechen. Sie begrüßten alle Leute freundlich, lächelten immer, trugen ihr Werkzeug und ihr Material selbst und waren voller Energie. Sie fragten, wo sie anfangen könnten, die Zeltdächer mit dem Blech zu verstärken. Direkt begannen sie zu arbeiten. Sie wollten aber auch, dass die Leute aus dem Camp mithelfen, wenn ihr Zelt an der Reihe ist. Trotz der Kälte und des Schnees kamen sie morgens, als es noch dunkel war, und fuhren erst spät abends, als die Sonne schon untergegangen war.
Wir im Camp haben ihre Bescheidenheit, ihre Demut und Menschlichkeit gespürt. Sie waren auch der erste Verein, der Frühstück und Tee mit uns teilte. Da ich der Einzige war, der etwas Englisch sprechen konnte, fragte Simon mich, ob ich als Unterstützung mit ins nächste Camp kommen möchte und so gehörte ich plötzlich zum Team – und bin seither selbst ein Grünhelm.
In Aarsal sprach es sich herum wie ein Lauffeuer, dass es eine deutsche Organisation gibt, die alles selbst und von Hand macht. Bald kannte jeder ihre grünen T-Shirts und ihren Namen. Wir sind von Camp zu Camp gegangen, haben die Zelte mit Dachblechen vor Schnee und Regen geschützt. Jedes Camp wollte, dass „die Deutschen“ als Nächstes zu ihnen kommen.
Eines Tages jedoch stoppte die libanesische Regierung unsere Arbeit, weil sie uns vorwarfen, dass wir aus den Zelten Häuser machen würden. Die Nachricht war für alle Syrer in Aarsal traurig. Doch anstatt aufzugeben, haben die Grünhelme ein neues Projekt gesucht. Seitdem erneuern wir die Elektrik in den Camps, damit die Zelte nicht abbrennen. Bis zum Ende des Jahres werden wir so alle Zelte in Aarsal viel sicherer gemacht haben.
Es ist mehr als Arbeit
Ich möchte Ihnen nicht nur von der Arbeit erzählen. Mit den Grünhelmen ist es mehr als Arbeit. Es hat sich in den fünf Jahren eine besondere Beziehung entwickelt zwischen uns Campbewohnern und dem Team der Grünhelme. Da sind die vielen Freiwilligen der Grünhelme, die für drei Monate in Aarsal waren und dann die Projektleiter Uli, Frieder, Martin und Simon, die immer wieder hier sind. All unsere Kinder kennen ihre Namen. Sobald sie zu Besuch
kommen, laufen die Kinder zu ihnen, nehmen sie an die Hand und möchten mit ihnen deutsche und englische Wörter üben oder ihnen arabische Ausdrücke beibringen.
Meine Frau kennt alle Lieblingsspeisen der Grünhelme-Mitglieder. Für Martin gibt es immer Baba Ghanoush, eine Auberginencreme. Wir sitzen dann zusammen auf dem Boden in unserem Zelt, essen, lachen, reden und trinken ganz viel Tee. Ich kann nicht vergessen, als ich meine Mutter nach sieben Jahren Trennung wiedergesehen habe, wie sehr sich Simon für uns gefreut hat. Als die Pandemie ausbrach und die Flughäfen geschlossen wurden, haben die meisten Ausländer Aarsal verlassen. Nur Martin ist hiergeblieben, obwohl das bedeutete, dass er auf unbestimmte Zeit nicht nach Hause konnte. Er hat dann ein Quarantänezentrum für Familien gebaut.
Die Grünhelme haben schon so viel für uns getan. Die neuen Dächer in unserem Camp, die Elektrik und die Fenster für die Zelte. Mittlerweile arbeiten mehr als 20 Männer aus unserem Camp für die Grünhelme, viele Jugendliche nehmen an dem Tischlerkurs teil. Aber sie feiern auch Feste mit uns und sind da, wenn jemand gestorben ist oder die libanesische Regierung mal wieder ein neues Problem für uns geschaffen hat. Dadurch sind sie hier so bekannt und auch Monate, manchmal Jahre später fragen mich Familien, ob ich mit Martin, Uli oder Simon nochmal zum Essen kommen möchte.
Ich könnte noch so viel schreiben, von den schönen, aber auch traurigen Momenten, die wir gemeinsam erlebt haben. Danke, im Namen aller Syrer in Aarsal, dass es die Grünhelme gibt. Vielen Dank an alle, die diese Organisation unterstützen.
Auch wir bedanken uns –
bei allen Grünhelmen weltweit, die wie Abu Feyrus mit ganz viel Herzblut und großartigem Engagement unsere Projekte voranbringen!
Und wir danken Ihnen, liebe Spenderinnen und Spender, dass Sie diese wichtige Arbeit überhaupt erst ermöglichen.