Wer dachte, im Libanon kann es nicht schlimmer werden, hat sich gewaltig getäuscht. Explosion, drohender Staatsbankrott, hohe Arbeitslosigkeit und jetzt versinkt das Land im Corona-Chaos.
Trotz der massiven Hilfe aus dem Ausland sind in Libanons Hauptstadt Beirut auch fünf Monate nach der Explosion nach wie vor viele Häuser ohne Fenster, was zum großen Teil damit zusammenhängt, dass es kein einheitliches Vorgehen, geschweige denn eine Koordinierung der Wiederaufbauarbeiten gibt. Die Unfähigkeit, diese Krise zu meistern, steht sinnbildlich für das Unvermögen, das Land vor dem Bankrott zu retten.
Das Land ist am Boden, es werden dringend Gelder aus dem Ausland benötigt, um einen nahenden Staatsbankrot zu verhindern. Diese sind allerdings an Reformen geknüpft. Um Reformen umzusetzen, wird eine Regierung benötigt. Seit dem Rücktritt konnten sich die Machteliten im Land nicht auf eine Regierung einigen. Grund dafür ist nach Meinung vieler Menschen, mit denen ich auf der Straße und im Alltag spreche, die Gier und die Uneinsichtigkeit der Eliten, sich nicht mehr ungehemmt die Taschen vollstopfen zu können.
Katastrophales Krisenmanagement
Die Proteste gegen diese Zustände, die im Oktober 2019 begonnen haben, sind trotz allem kaum noch sichtbar. Die Menschen im Land haben resigniert. Wer kann, versucht seinem Heimatland den Rücken zu kehren und anderswo ein neues Leben aufzubauen. Aber auch das wird immer schwieriger, was nicht nur an Corona liegt. Gerade die junge Generation, die gut Ausgebildeten, wollen nur noch weg, was verständlich ist. Zugleich natürlich schwächt das den Libanon.
Hinzu kommt ein katastrophales Krisenmanagement in Zeiten von Corona. Sah es Anfang des Jahres 2020 noch danach aus, als habe der Libanon das Virus im Griff, hat es sich nach der Wiedereröffnung des Flughafens rasant über das ganze Land ausgebreitet. Die Schuld ist dabei aber nicht nur bei den Regierenden zu suchen. Kaum jemand hält sich an Vorschriften wie Maske tragen, Kontaktbeschränkungen oder Quarantänen nach der Einreise.
Überlastete Krankenhäuser
Ein neuer Tiefpunkt ist nun erreicht. Die Krankenhäuser sind derart überlastet, dass sie Patienten mit Corona abweisen müssen, da sie keine Kapazitäten mehr haben. Erst jetzt greift das Land hart durch. Seit Donnerstag, 14. Januar, gilt eine strikte Ausgangssperre. Alle Geschäfte und öffentlichen Einrichtungen sind geschlossen. „Der härteste Lockdown der Welt“ schrieb die Tageszeitung „Die Welt“, da sogar die Supermärkte keine Kundschaft mehr hereinlassen dürfen. Die Versorgung soll ausschließlich über Lieferdienste abgewickelt werden.
Wie erfolgreich dieser Lockdown ist, wird stark davon abhängen, wie strikt die Regierung dieses Mal durchgreift und wie sich die Bevölkerung an die Vorgaben hält. Zumindest am ersten Tag des neuen Lockdowns scheint es zu funktionieren, denn sogar in der von der Hauptstadt weit entfernten Grenzstadt Aarsal, wo die Grünhelme seit 2017 arbeiten, sind alle Geschäfte geschlossen und das Militär kontrolliert die Ausgangssperre. Ob dies zehn Tage durchgehalten wird, bleibt höchst fraglich.
Eines hat der strikte Lockdown schon jetzt bewirkt: Das libanesische Pfund ist erneut abgestürzt und die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, was die Lage für Libanes*innen und Syrer*innen erneut verschärft. Viele haben aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren oder verdienen nur noch einen Bruchteil dessen was sie vorher verdient haben. Die, die etwas gespart haben, kommen nicht an ihr Geld bei der Bank und wenn doch, müssen sie durch schlechte Wechselkurse Einbußen von bis zu 80 Prozent hinnehmen.
Durch Subventionen wichtiger Güter wie Mehl, Diesel und Telefonguthaben hält die Regierung die Laune der Bevölkerung auf einem Level, das größere Unruhen vermeidet. Aber auch dafür geht langsam das Geld aus. Erste Kürzungen der Subventionen haben zu Preisehöhungen geführt und was passiert, wenn die Subventionen eingestellt werden, konnte man im vergangenen Jahr bei dem Bäckerstreik sehen. Die Bäcker sollten, trotz steigender Mehlpreise, das Brot nicht teurer verkaufen, was eine wirtschaftliche Arbeitsweise unmöglich gemacht hat. Vor den wenigen Bäckereien, die geöffnet hatten, bildeten sich lange Schlangen.
Wut auf Eliten
Bis jetzt richtet sich der Ärger über die schlechte Situation überwiegend gegen die so genannten Machteliten des Landes. Erste Stimmen werden aber auch schon laut, wonach zumindest ein Teil der Schuld bei den Geflüchteten aus Syrien liege, da diese für Hungerlöhne arbeiten und so angeblich den Libanesen*innen die Jobs stählen. Dass diese Jobs kaum ein Libanese und kaum eine Libanesin machen möchte und dass reiche Libanes*innen oder auch gewöhnliche Ladenbesitzer*innen mit syrischen Angestellten die Profiteur*innen dieser schamlosen Ausbeutung sind, übersehen die meisten.
Wenn es zu Ausschreitungen kommen sollte, kann davon ausgegangen werden, dass die Geflüchteten die Ersten sind, bei denen sich die Wut der Menschen entlädt. Wie wenig Rechte die Syrer*innen im Land haben, hat sich Ende letzten Jahres im Ort Bsharre nahe Tripoli gezeigt. Nach einem Mord an einem Libanesen ist ein Mob durch die Stadt gezogen und hat sämtliche Syrer*innen aus ihren Wohnungen und Zelten vertrieben. Ihr Hab und Gut wurde niedergebrannt und sie standen wieder einmal vor dem Nichts. Mehr al 160 Familien verloren so ihr Zuhause. Konsequenzen gab es keine.
Lockdown unterbricht unsere Arbeit
Umso wichtiger ist unsere Arbeit in der Stadt Aarsal. Neben dem Schreiner*innen Workshop tauschen wir die alte Elektrik der Zelte in den Geflüchteten-Camps gegen eine neue aus. Regelmäßig kommt es zu Kabelbränden, da die Menschen ihre Zeltelektrik selbst aus Resten alter Kabel zusammenschustern. Durch Wind und andere Bewegungen am Zelt lösen sich diese Verbindungen und verursachen beim Kontakt mit der Zeltplane einen Brand. Viele Familien haben so schon ihre provisorische Unterkunft verloren.
Mit unserem einheimischen Team aus bis zu 16 Mitarbeitern verlegen wir neue Außenkabel und Innenelektrik. Durch Corona mussten wir immer wieder unsere Arbeit unterbrechen, konnten aber seit November 2020 wieder arbeiten. Mit unserem freiwilligen Helfer und Elektriker Christian Schaible aus Wolfsburg haben wir seit November 2020 vier Camps mit insgesamt 719 Zelten mit neuer Elektrik ausstatten können. Insgesamt haben die Grünhelme seit März 2020 in 18 Camps in mehr als 2150 Zelten eine neue Elektrik verlegt. Durch die wirtschaftliche Lage des Landes mussten einige syrische Familien, die in Aarsal Wohnungen gemietet hatten in Zelte umziehen. Auch diese neuen Zelte haben wir gleich mit einer sicheren Verkabelung ausgestattet.
Nun steht der harte Lockdown vor der Tür und wir müssen wieder unsere Arbeit unterbrechen. Unsere Gedanken sind bei den Familien, deren Angehörige an Corona erkrankt sind und die an den Türen der Krankenhäuser hier im Land abgewiesen werden, denn es gibt keine Betten mehr für sie.
In Aarsal gibt es kein Krankenhaus, welches Corona Patienten*innen versorgen kann. Nach Baalbek, wo sich das nächste Krankenhaus mit Corona-Station befindet, dürfen die meisten Syrer*innen nicht, da sie keine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben. Uns wurde berichtet, dass ihnen im Krankenhaus in Aarsal gesagt wird, dass sie Vitamin C nehmen sollen und versuchen sollen, sich vom Rest des Camps und ihren Familien zu isolieren. Wie das in einem 16m² großen Zelt funktionieren soll, sagt ihnen niemand.
Martin Mikat