Syrerinnen und Syrern im Libanon droht die Obdachlosigkeit
libanesischen Arsal zeigt der massive Druck von Regierung und Armee Wirkung: Immer mehr Familien reißen ihre Unterkünfte ab und stehen nun ohne Dach über dem Kopf da. Gleichzeitig kommen Hilfsorganisationen ihren Zusagen nach Lieferung alternativer Baumaterialien nicht nach und spielen obendrein eine zwielichtige Rolle.
Wie wir schon vor zwei Wochen berichtet haben (http://gruenhelme.org/syrische-gefluechtete-im-libanon-sollen-aus-dem-land-gedraengt-werden/) versucht die libanesische Regierung mit neuen drastischen Methoden, die Geflüchteten im Land zu einer Rückkehr nach Syrien zu drängen. Mit Verweis auf das Baurecht droht sie in unserem Projektort Arsal all jene Unterkünfte niederreißen zu lassen, die aus mehr bestehen als Holz und Plastikplanen und damit einen einigermaßen passablen Schutz gegen das launische Wetter – die 40 Grad im Sommer und den meterhohen Schnee im Winter – bieten. Etwa 2.500 Familien sind akut betroffen. Die Deadline, die zunächst auf den 10. Juni festgelegt wurde, hat nun einen Aufschub bis Ende des Monats erfahren. Anschließend, so macht die Regierung unmissverständlich klar, rollen die Bulldozer der Armee an und reißen alles nieder, was nicht den neuen Vorschriften entspricht.
Das Perfide an der neuen Anordnung der Regierung ist, dass die Familien dazu gezwungen werden sollen, ihre Behausungen selbst entsprechend der neuen Richtlinien umzubauen respektive zu zerstören. Die gebeutelten Familien, die größtenteils schon seit 2012/2013 in Arsal leben müssen und die in ihrer syrischen Heimat alles verloren haben, sollen nun also Hand an ihren einzigen verbliebenen Schutzraum anlegen.
Es ist nicht übertrieben von Gewalt zu sprechen: Denn den Syrerinnen und Syrern wird abermals vor Augen geführt, dass sie in dem Land, in dem sie Schutz gesucht haben, völlig rechtlos sind. Die jetzige Anordnung reiht sich nahtlos in eine Politik ein, die einzig und allein darauf zielt, die Lebensbedingungen der syrischen Geflüchteten immer weiter zu verschlechtern, um so den Leidensdruck der Menschen zu erhöhen und eine Rückkehr nach Syrien zu erzwingen. Es ist eine offen rassistische Politik der Allianz von schiitischer Hisbollah und der Partei des christlichen Präsidenten Michel Aoun, die um das sensible Gleichgewicht der Religionen im Land fürchtet und deshalb die vor allem sunnitischen Geflüchteten aus dem Land drängen möchte. So werden eben jene Geflüchteten zu Sündenböcken für alles gemacht, was schief läuft im eigenen Land.
Die humanitäre Katastrophe, die Obdachlosigkeit von 2.500 Familien, soll nun von den internationalen Hilfsorganisationen verhindert werden. Dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und vier weiteren großen internationalen Organisationen (Libanesisches Rotes Kreuz, Save the Children, Norwegian Refugee Council und Medair) wurde nun die Aufgabe zuteil, dafür zu sorgen, dass die Umbauten bis Ende des Monats umgesetzt werden. Ein Aufschrei, medienwirksame Kritik oder gar Widerstand ist von dieser Seite nicht zu vernehmen. Stattdessen sind nun sie es, die den Druck auf die Familien erhöhen, endlich mit dem Abriss zu beginnen. So machen sich diese Organisationen mit ihrem überwiegend libanesischen Personal zu Handlangern der Regierung.
Vor zwei Wochen haben nun die ersten Familien mit dem Rückbau begonnen, aus Verzweiflung und Angst vor einem Gesamtabriss. Dabei haben sie den Versprechungen der Hilfsorganisationen, innerhalb eines Tages neue leichte Baumaterialien zu liefern, geglaubt. Doch während erstmals seit Jahrzehnten starke Regenschauer im Juni in Arsal einsetzten, waren die Familien zum Warten und Hoffen verdammt, zahlreiche ohne Dach über dem Kopf: Zwölf Tage hat es gedauert, bis die ersten Lieferungen der Organisationen eingetroffen sind. Unterstützung beim Rückbau, beispielsweise von Unterkünften mit Betondecken lehnen die Hilfsorganisationen gänzlich ab, aus Angst, dass ihre Logos mit Abrissarbeiten in Verbindung gebracht werden. So lassen sie Familien hilflos zurück und kommen ihrer Verantwortung nicht nach.
Wir Grünhelme sind seit gut eineinhalb Jahren in Arsal aktiv. Wir leben mit den Syrerinnen und Syrern, wir essen gemeinsam und arbeiten zusammen. Wir kennen viele Familien und ihre Leidensgeschichten, die nun schon seit acht Jahren andauern. Es ist Vertrauen entstanden und mit manchen Familien sogar Freundschaften. Wir finanzieren hier eine Schule für syrische Kinder, die keinen Platz auf den überfüllten libanesischen Schulen bekommen haben. Vor allem haben wir aber für etwa 800 Familien robuste Dächer gebaut, die sie gegen Sonne, Wind, Regen und Schnee schützen. Auch diese Dächer sind nun weitgehend demontiert, auf Druck der Armee und mancher Hilfsorganisationen. Es macht uns traurig und wütend, wie mit diesen Menschen umgegangen wird, wie auf sie herabgeschaut wird und wie sie immer weiter in die Verzweiflung getrieben werden.
Wir haben versucht die Bundesregierung einzuschalten, um Druck auf ihren libanesischen Partner auszuüben, dem sie seit Jahren hunderte Millionen Euro zuschustert. Wir haben versucht andere internationale Hilfsorganisationen zum Widerstand zu animieren. Und wir haben versucht durch die Involvierung von Medien eine internationale Öffentlichkeit zu Schaffen. Heute müssen wir uns eingestehen, dass all dies gescheitert ist.
Wir kapitulieren vor der Gewalt der libanesischen Regierung und der Untätigkeit der großen Hilfsorganisationen. Aus einem Verantwortungsgefühl heraus machen wir uns nun die Hände schmutzig: Wir zerstören die massiven Bauten eines Witwen- und Waisencamps, und ersetzen sie durch neue Unterkünfte, die den Richtlinien entsprechen. Verzweifelt hatten sich die Bewohner*innen an uns gewendet, weil sie selbst zum Rückbau nicht in der Lage sind und vom libanesischen Roten Kreuz nur Spott, Häme und Druck zu spüren bekommen haben.
Am Ende bleibt die Wut!