Zur aktuellen Situation im libanesischen Arsal
Noch immer leben im libanesischen Arsal bis zu 60.000 syrische Geflüchtete, die nicht zurück können in ihre Heimat. Dabei wird ihnen jeden Tag vor Augen geführt, wie unerwünscht sie sind, vom libanesischen Staat und auch vom Großteil der libanesischen Bevölkerung. Unterdessen steht der Winter vor der Tür, gegen den die primitiven Zeltbauten kaum Schutz bieten können. Wir Grünhelme versuchen weiterhin mit robusten Dächern, Fenstern und Entwässerungen die Situation etwas erträglicher zu machen. Auch im Bildungsbereich sind wir nach wie vor aktiv.
Arsal war für die syrischen Geflüchteten einmal ein Ort der Zuflucht und der Hoffnung. Durch die Berge des Anti-Libanon-Gebirges von Syrien getrennt, aber doch so etwas wie heimisches Terrain. Die Bünde zu der sunnitischen Bevölkerung waren gerade für die Syrer*innen aus Kalamoun, auf der anderen Seite der Berge, eng. Es gab einen regen Handel, Freundschaften und Hochzeiten. In den ersten Jahren nach der Flucht wurden die Menschen großzügig unterstützt: Familien wurden aufgenommen, Länderreien und leerstehende Garagen zur Verfügung gestellt, Essen und Decken verteilt. Heute gehört diese Zeit der Vergangenheit an. Die Stimmung hat sich gedreht und die meisten Libanes*innen wollen die Syrer*innen nur noch loswerden. Dabei ist die Situation der Geflüchteten verfahren. Viele sind seit nunmehr sechs Jahren hier, leben seitdem in notdürftig zusammengezimmerten zeltähnlichen Unterkünften und haben große Mühe das nötigste zum Leben zusammenzubekommen. Gleichzeitig haben die meisten keine offiziellen Papiere, sind somit rechtelos und immer wieder willkürlichen Übergriffen durch das libanesische Militär ausgesetzt.
Die Situation für die etwa 60.000 syrischen Geflüchteten ist ein humanitäres Desaster. Schon jetzt, wo der Winter noch nicht einmal richtig begonnen hat, sinken die Temperaturen nachts teilweise unter den Gefrierpunkt. Die Zelte, die zwar von innen meist mit einem dünnen Isolierschaumstoff verkleidet sind, können dem wenig entgegen setzen. Im Inneren herrscht klirrende Kälte. Die meisten Familien haben zwar Dieselöfen, doch fehlt es an Brennstoff. Wurde in den vergangenen Jahren noch solcher von Organisationen an die Familien verteilt, sind die Geflüchteten in diesem Winter auf sich allein gestellt. Dabei steht das Schlimmste noch bevor, der Schnee und die Stürme, die die in den vergangenen Jahren dutzende Zelte zum Einsturz brachten. Eben hier versuchen wir zu unterstützen. Mittlerweile haben etwa 600 Familien neue Trapezblechdächer mit einer robusten Unterkonstruktion bekommen, sodass die Zelte für den Winter gewappnet sind. Daneben haben wir für weitere 200 Familien Entwässerungen betoniert, die am Hang befindliche Zelte vor Regenwasserfluten schützen sollen. Daneben haben wir bisher gut 1.000 Fenster verbaut, um in die Zelte Tageslicht zu bringen und Durchlüftung zu ermöglichen, um der Schimmelbildung in den feuchten Zelten vorzubeugen.
Doch nicht nur die Wohnsituation ist schwierig. Von den etwa 20.000 syrischen Kindern im Schulalter in Arsal können nur etwa 3.500 reguläre libanesische Schulen besuchen. Es sind einfach zu wenige Schulplätze vorhanden. Auch in diesem Feld versuchen die Syrer*innen sich selbst zu helfen. Es sind Schulen aus Eigeninitiative entstanden: Eltern und syrische Lehrer*innen haben sich zusammengetan und Unterricht organisiert. Die Räumlichkeiten dafür wurden von syrischen Vereinen oder auch internationalen Organisationen zur Verfügung gestellt, in Form von Containern oder provisorischen Bauten. Die meisten Lehrer*innen dieser informellen Schulen unterrichten ohne Bezahlung. Wurde in der Anfangszeit von den meisten dieser Schulen noch nach dem Lehrplan der syrischen Exil-Opposition in Istanbul unterrichtet, sind die meisten mittlerweile auf das libanesische Curriculum umgestiegen. Trotzdem werden die Abschlüsse auf diesen Schulen vom libanesischen Bildungsministerium nicht anerkannt. Ohnehin können viele der jugendlichen Kinder überhaupt nur im Winter zur Schule gehen. Im Sommer müssen sie arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. So trifft man überall in Arsal Kinder, die in den Supermärkten verkaufen, Autos waschen, in der Landwirtschaft oder den Steinbrüchen arbeiten. So bildet die humanitäre Katastrophe von heute zugleich eine verlorene Generation von morgen aus. Die Grünhelme wollen dem mit all unserer Kraft entgegenwirken. Wir unterstützen seit nun sechs Monaten die Schule unseres Partners SB Overseas. Hier werden gut 200 syrische Kinder zwischen 6 und 14 Jahren unterrichtet, mit dem Ziel, sie so schnell wie möglich auf eine öffentliche libanesische Schule zu überführen. Außerdem arbeiten wir nun auch verstärkt bautechnisch in informellen Schulen. Decken die kaputten Dächer neu, ziehen abgehängte Decken ein und tauschen durchgefaulte Böden aus. Es braucht eine Zukunft für Syrien und die Zukunft sind die Kinder!
Aber heute noch nennt unser Übersetzer Abu Feyrous die Entscheidung zwischen Bleiben in Arsal und einer Rückkehr nach Syrien, Pest und Colera. In Arsal fehlt es für die Geflüchteten an Allem: Nicht nur an wintertauglichen Unterkünften, medizinischer Versorgung und Schulplätzen, auch und besonders an Anerkennung, Sicherheit und Hoffnung. Die Syrer*innen fühlen sich nicht als Menschen behandelt. Sie werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, als Eindringlinge oder gar Plage betrachtet. Immer wieder gibt es nächtliche Campstürmungen durch das libanesische Militär, das willkürlich Männer verhaftet, die manchmal erst nach Wochen, manchmal auch überhaupt nicht mehr zurückkehren. Gleichwohl gibt es keine wirkliche Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat. Dies könnte für viele eine akute Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Immer wieder hat Diktator Assad verlauten lassen, dass eben diese Geflüchteten in seinen Augen Terroristen seien. So wagen sich trotz des massiven libanesischen Drucks und der aufwendigen Rückkehrprogramme nur wenige Menschen zurück. Die Stabilisierung der Macht des Assad-Regimes nimmt den Menschen die Hoffnung. Eben hier liegt die politische Dimension dieser humanitären Katastrophe und damit auch die Verantwortung des Westens für die Menschen, der dem Schlachten Assads bis heute nur zuschaut und nicht in der Lage ist, eine politische Lösung für den Syrien-Konflikt anzubieten, die auch die Opfer berücksichtigt.
Durch Solidarität mit den Menschen und die handfeste Hilfe vor Ort versuchen wir den Menschen Hoffnung zu geben. Aber solange es keinen Frieden gibt in Syrien und eine Nachkriegsordnung, die die Opfer der Krieges beteiligt, können die Menschen nicht zurück, die nichts lieber würden als das. Hierauf sollte sollte die deutsche Politik ihr Augenmerk verlagern, statt Scheindebatten über Grenzschließungen, Abschaffung des Asylrechts oder forcierte Abschiebungen zu führen.