Zu einem Land, das uns mal sehr nahe war
Es ist ein Verwirrspiel ohne Absicht, dass diese Hungerflüchtlinge in Somalia aufführen. Wichtig ist: Sie haben keinen einzigen richtigen Staat mehr. Das riesengroße Land am Horn von Afrika (3000 km Küste) weist ein großes Räuberfeld auf mit Mogadiscio im Zentrum und dem Hafen Kisimayo im Süden. Dort im Süden toben sich die Verbrecher der Al- Shabaab Milizen aus, die zu Unrecht noch bei uns den Ehrennamen ‚Islamisch’ tragen. Die geschätzt acht Mio Menschen, Somalis haben niemanden, der sich um ihre Versorgung kümmert in der schwersten Dürre der letzten Jahrzehnte.
Sie fliehen nach Kenia, nach Äthiopien, manche Somalis fliehen aus Äthiopien (Ogaden) nach Somaliland, von dem sie gehört haben, dass da eine somalische Administration versucht, ihnen zu helfen, so gut sie kann. Sie kann nur schlecht, denn sie verfügt über so wenig Geld (Jahresbudget 40 Mio US-Dollar), dass sie es nicht richtig verwirklichen kann. Und, Somaliland hat auch 3,5 Mio Menschen zu versorgen, die an der Küste auch Opfer der schlimmen Dürre sind. Was, wenn wir aus dem Westen uns da einschalten und assistieren?
Sie gehen dahin, wo sie etwas erwarten können. Die Flüchtlinge aus Zentral-Somalia nach Äthiopien. Die Somalis aus dem östlichen Äthiopien nach Burao und in andere Teile von Somaliland. Wieder andere machen den unendlich mühsamen und anstrengenden Weg bis nach Somaliland im Norden, weil sich etwas herumspricht: Somaliland nimmt diese Menschen – ohne sie abzuwehren und ohne sie zu kasernieren – einfach auf. Wir fahren mit dem agilen Bürgermeister der zweitgrößten Stadt des Landes Burao, Ahmed Abdi Felay, in die Ecken der Stadt. Dort konnten sich diese Flüchtlinge einfach niederlassen, ohne dass gleich Zäune gebaut werden oder die Bevölkerung sich bedroht fühlt. Im Gegenteil, es gibt ein Hinüber und Herüber, der Bürgermeister geht mit uns in eine dieser armseligen Hütten, wo gerade eine hochschwangere Frau liegt, die sich in ihrer Schwangerschaft 50 km von Mogadiscio entfernt auf den Weg gemacht hat hierher.
Das was Flüchtlingen in den Nachbarländern von Somalia oft fehlt, das haben sie hier: sie sind willkommen, sie sind nicht weggewünscht vom ersten Moment und sie müssen auch nicht gegen Übergriffe geschützt werden.
Nach Burao sind wir in den Norden an die Küste des Indischen Ozeans gefahren: Berbera, der große Seehafen, wurde 1976 von den Russen in ihrer großen Zeit der Waffenbrüderschaft mit den Somalis unter Siad Barre angelegt, ist weiter der einzige Seehafen an Somalias 3000 km langer Küste, der von Piraterie nicht bedroht oder berührt wird. Der Gouverneur ist darauf stolz. Das bedeutet auch, wir können die Hauptnahrung hier einkaufen, Reis und Weizenmehl sind kein Problem. Bei Zucker gibt es einen Engpass und bei all dem, was sonst Menschen zum Überleben brauchen wie Medikamente, Decken und Zelte.
Da aber werden die Grünhelme Abhilfe schaffen. Sie haben bereits ein Team vor Ort, das 150 Tonnen Reis und 150 Tonnen Weizenmehl im Hafen Berbera bei Grosshändlern einkaufen kann und diese Hilfsgüter nach Burao in die Orte bringt, wohin sich die Hilfsbedürftigen aus dem Süden Somalias und Äthiopiens sammeln. Es gibt zusätzlich eine Medikamenten-Spende des Medikamentenhilfswerkes “medeor” für die Bedürftigen in Somaliland, es gibt das Versprechen, 2500 Decken zu liefern.
Das Land bemüht sich, fühlt sich aber alleingelassen. Wir haben ein Gespräch mit dem Sprecher des Parlamentes, Abdirahman M. Abdillahi, also dem Norbert Lammert von Hargeisa, der uns mittags an einem der Ramadan Fasttage empfängt. Er analysiert die Lage des Landes sehr realistisch. Die Flüchtlinge in Somaliland sind für die Weltgemeinschaft ‘nur’ IDP, also Internally Displaced People, also solche, die in ihrem eigenen Land umherirren. Der Flüchtlingstitel, der ja auf der Welt viel bedeutet für die materielle Versorgung und Neuansiedlung, kommt ihnen nicht zu.
Dennoch hat das Land einen famosen privaten Wirtschaftssektor, hat aktive junge Studenten und Technokraten, hat drei Handy Anbieter, zwei davon in Somalischer Hand, es hat zwei Flughäfen und einen Seehafen. Und es ist trotz seiner Isolation mit der Umgebung vernetzt. Flugzeuge der Jubba Air wie der Daallo Air wie der African Safari fliegen in die ganze Region und erreichen auch Hargeisa und Berbera.
Der Sprecher des Parlaments verweist auf die Verantwortung des Landes, das 50 Prozent seines Staatsbudgets für seine Sicherheit und die Abwehr der radikalen Al-Shabaab Milizen ausgibt. Fehlt nur noch ein Visionär vom Schlage eines Nelson Mandela, der dem Land die Richtung weist. Viele weisen dem amtierenden Präsidenten solche Fähigkeiten zu. Immerhin lautet die Schlagzeile des “Hargeisa Star” heute: “Madaxweyne Siilanyo oo Maanta Boogqashadii ku Tegaya Dalka Shiinaha”. Das heißt auf Deutsch: “Der Präsident Silanyo ist heute zu Besuch im Land China”. Dort bemüht er sich um die Anerkennung des Landes Somaliland.
Immerhin war das eine Anerkennung, die Einladung nach China für den smarten Präsidenten von Somaliland, der so gar nichts Radikales hat.
Wenn sie auch noch keine Anerkennung haben, die Somalis in Somaliland, so freuen sie sich über diesen Erfolg ihres Präsidenten. Die Anerkennung, das wurde uns auch gesagt, wird eher von den Ländern der Afrikanischen Union als von der EU behindert.
Es wäre gut, wir Deutschen würden uns neben den Anstrengungen, die von vielen Organisationen schon in Dadaab und Kenia auch in Mogadiscio gemacht werden, jetzt auch noch den Somalis im Norden zuwenden. Einst nach dem großen, von uns allen dankbar empfundenen Befreiungsschlag der GSG 9 im Juni 1977 in Mogadiscio zugunsten der Geiseln der Lufthansa Landshut hieß es in Somalia bei Empfängen: “Hanolatoo Sahibdinimada Somaliya Germanka”. Zu Deutsch: Hoch soll leben die deutsch-somalische Freundschaft. In Somaliland spürt man noch etwas von der Emotion dieser Jahre.