Dr. Basil Orfali versucht möglichst viele Zähne zu retten – in den mobilen Zahnarztpraxen der Grünhelme in Syrien. Doch unter den Bedingungen ist das schwierig.
Seit fünf Jahren betreiben die Grünhelme ein Zahnarztmobil in der Region Aleppo, 2019 kam ein zweites dazu. Über 38.000 zahnmedizinische Behandlungen wurden darin bis heute durchgeführt, kostenfrei für die Patientinnen und Patienten. Fast die Hälfte von Ihnen sind Kinder und Jugendliche.
Von Anfang an begleitet Dr. Basil Orfali unser Projekt, er ist als Zahnarzt in der Klinik unser wichtigster Mann vor Ort. Wir haben ihn gebeten, einen Bericht über seine Arbeit und sein Leben zu schreiben, den Sie hier lesen können:
„Die Syrer, die in den Geflüchteten-Camps in Nordsyrien leben, müssen in ihrem Alltag mit vielfältigen Problemen kämpfen. Anlass zur Sorge besteht immer bei der Gesundheitsversorgung, insbesondere auch bei der zahnärztlichen Versorgung, ob kurativ oder präventiv. Angesichts der hohen Materialkosten für zahnärztliche Behandlungen übersteigen diese die finanzielle Kapazität vieler Menschen – wenn überhaupt Privatkliniken oder Praxen in der Nähe des Wohnortes auffindbar sind.
Der Krieg dauert nun schon 10 Jahre an. Viele Männer sind gestorben oder verschwunden, viele sind zum Arbeiten in das Nachbarsland Türkei gereist, um den in den Camps verbliebenen Familien ein wenig Geld zu überweisen. Die Vereinten Nationen stufen die syrischen Camps im Nordwesten als einen der elendsten Orte der Welt ein. Es gibt viele Fälle von Kriegsverletzungen, wie der Verlust von Gliedmaßen, Verbrennungen, verschiedenste Verstümmelungen von Gesicht und Körper.
Dazu kommen die psychologischen Auswirkungen, die der Krieg hinterlässt, nicht nur, aber vor allem bei den Kindern. Sie erleben immer wieder die Angst und Panik wegen der Raketen, die im Schlaf auf ihren Häusern landeten, und viele von ihnen sahen getötete Familienmitglieder unter den Trümmern der Häuser liegen. Viele Familien wurden getrennt.
Ich sehe es als meine Pflicht an, diesen Menschen zu helfen und freue mich sehr, in dem Zahnarztmobil der Grünhelme einen Teil des Leidens, dem sie ausgesetzt sind, lindern zu können.
Ich arbeite nun im fünften Jahr für die Grünhelme in der mobilen Zahnklinik. Ich sehe einige Patienten, die zu lange mit dem Besuch bei einem Zahnarzt gewartet haben, oft weil sie schlicht keine Möglichkeit dazu hatten. Ich hätte viele Zähne retten können, wenn ich die Patienten früher gesehen hätte. Ungefähr die Hälfte der Patienten sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, sie leiden unter Karies, aber auch unter kieferorthopädischen Problemen. Alle medizinischen Leistungen sind in der mobilen Zahnklinik verfügbar, mit Ausnahme von festen und mobilen Zahnprothesen.
Oft wurde eine Zahnbehandlung an einem alten Wohnort angefangen und dann nicht fortgeführt. Viele Menschen hatten jahrelang einfach keinen Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung (weil es keinen Zahnarzt gab oder weil sie kein Geld für die Behandlung hatten) und nehmen viele Schmerzmittel.
Der schlechte Zustand ihrer Zähne ist für viele Menschen eine zusätzliche Belastung
Viele Patienten befinden sich in einem labilen psychischen Zustand, aber es ist immer auch Hoffnung da und der Traum von einer besseren Zukunft. Der schlechte Zustand ihrer Zähne ist für viele Menschen eine zusätzliche Belastung. Sowohl was die Schmerzen angeht, als auch der ästhetische Aspekt. Sichtbare Karies oder eine auffällige Fehlstellung der Zähne führen häufig auch zu sozialen Problemen – etwa zu Angst, vor anderen zu sprechen und zu lachen.
Was meine persönliche Situation angeht: Ich bin Doktor Basil Orfali. Ich habe mein Studium der Zahnmedizin an der Aleppo-Universität abgeschlossen und ebenda gearbeitet, bis der Krieg 2011 ausbrach. Ich zog es vor, in Aleppo zu bleiben und nicht in andere sicherere Orte auszuwandern, egal ob innerhalb oder außerhalb Syriens.
Unser medizinisches Zentrum in Aleppo wurde mehrmals bombardiert und wir versteckten und mit Patienten in den Kellern.
Was das menschliche Leid verschlimmerte, war die Ankunft des Krieges in der Stadt Aleppo, die Aufteilung der Stadt in zwei Teile, einen westlichen Teil, der unter der Kontrolle der Regierung blieb, und einen östlichen Teil unter der Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte. Der westliche Teil war sicherer und stabiler, was zu einem starken Rückgang der Zahl der Einwohner, Ärzte und jeglicher medizinischer Infrastruktur im östlichen Teil führte. Dann wurde Ost-Aleppo ein Zufluchtsort für Menschen die vor den Regierungstruppen flüchteten und die Einwohnerzahl stieg auf über 400.000 an. Die Zahl der Zahnärzte jedoch hat die Finger einer Hand nicht überschritten.
2015 trat ich der unabhängigen Ärzteorganisation „Independent Doctors Association“ bei und arbeitete in ihrem Gesundheitszentrum, die einzige Klinik im Osten Aleppos, die ihre Dienste für alle Patienten kostenlos anbot. Wir haben Menschen nur der Menschlichkeit wegen aufgenommen und behandelt.
2016 musste ich in die Region nördlich von Aleppo fliehen. Das hat mir viel psychisches und physisches Leid verursacht, vor allem der Weg zur Arbeit wurde gefährlich, ich wurde mehrmals verletzt. Viele Freunde und Patienten, mit denen ich Kontakt hatte, starben oder flohen. Unser medizinisches Zentrum in Aleppo wurde mehrmals bombardiert und wir versteckten uns viele Male mit Patienten in den Kellern bis zum Ende der Razzien oder des Beschusses.
Aus Angst um das Leben meiner Familie war ich gezwungen, sie an sicherere Orte gehen zu lassen. Ich blieb alleine hier, ohne meine Frau und unsere vier Kinder. Ich leide sehr unter der Trennung von meiner Familie. Aber ich bin jetzt Arzt für die Menschen in Aleppo und in den Flüchtlingslagern.
Was ich mir wünsche? Ich wünsche mir jeden Tag Frieden und Sicherheit für mein Land und seine Bewohner, und dass wir diesen Krieg hinter uns lassen und uns mit den Ursachen des Krieges und seinen Folgen auseinandersetzen und so die Grundlagen für Frieden, Liebe und Koexistenz schaffen. Auf persönlicher Ebene möchte ich einfach nur wieder mit meiner Familie zusammen sein.“
Dr. Basil Orfali – Mobiler Zahnarzt
Übersetzt von Yvonne Neudeck