Zehntausende Libanes*innen gehen in diesen Tagen auf die Straßen und machen ihrem Unmut über die katastrophale Regierung – über Korruption, Wirtschaftskrise und Verwaltungsversagen Luft. Highways werden blockiert, Autoreifen brennen und weite Teile des Landes stehen still. Ministerpräsident Hariri ist inzwischen zurückgetreten, während die schiitische Hisbollah punktuell ihre Schlägertruppen auf Demonstrierende hetzt, um doch noch ihre Macht zu retten. Im Libanon zeigen die Menschen derweil, dass sie die jahrzehntelange Plünderung des Staates durch die immer selben Familien der politischen Elite satt haben.
Arsal, unser Projektort seit mehr als zwei Jahren, bekommt davon jedoch nur sehr wenig mit. Abgelegen am nordöstlichen Rand des Bekaa-Tals, in unmittelbarer Nähe zur syrischen Grenze, ist die Beiruter Politik hier ohnehin nur selten präsent. Seit ein Ableger des selbsternannten Islamischen Staates im August 2014 kurzeitig Kontrolle über die Stadt erlangt hatte und das libanesische Militär den Ort mit schwerem Gerät freikämpfte, ist er von außen durch Checkpoints abgeriegelt. Im Inneren aber herrscht mehr oder weniger Anarchie: Die Stadtverwaltung besitzt kaum Autorität und eine Polizei gibt es ohnehin nicht. So fahren zehnjährige Auto und gebaut wird nach persönlichem Gutdünken, gern auch quer über öffentliche Wege.
60.000 Syrer*innen leben seit 2012 in dem Ort und haben die Zahl der Einwohner*innen des Ortes verdreifacht. Sie jedoch sind einem strikten Regiment unterworfen und werden mit immer schärferen Maßnahmen konfrontiert, um sie zu einer Rückkehr in ihre syrische Heimat zu drängen (mehr dazu hier). Die libanesische Oktoberrevolution verfolgen die Syrer*innen mit neugierigem Interesse. Die Bilder von demonstrierenden Menschenmassen auf den prominenten Plätzen der großen Städte kommen ihnen nur allzu bekannt vor – mit dem Unterschied jedoch, dass ihr Präsident Baschar Assad die Demonstrant*innen zum Abschuss freigab und so der syrische Bürgerkrieg begann, der nunmehr seit acht Jahren andauert. Selbst beteiligen sich die Syrer*innen aber nicht an Protesten gegen die libanesische Regierung, obgleich sie jeden Grund hätten gegen diese Regierung sturmzulaufen, die sie jeglicher Rechte beraubt hat und dem Militär mit seinen verbrecherischen Aktionen gegen Geflüchtete freie Hand lässt. Zu groß ist die Angst eine Angriffsfläche zu bieten und der Regierung einen Sündenbock zu präsentieren – die Solidarität der libanesischen Demonstrant*innen wäre ohnehin sehr fraglich.
So bedeutet der libanesische Aufstand für die syrischen Geflüchteten in Arsal nur wenig. Die Probleme bleiben dieselben: Ein eingezwängtes Leben unter Plastikplanen in einem täglichen Kampf ums Überleben, ohne begründete Aussicht auf Rückkehr in eine befriedete Heimat. Für das neue Schuljahr fehlen wieder tausende Plätze für syrische Kinder und die informellen Schulen, die von Initiativen und Organisationen am Leben gehalten werden, wird die Anerkennung und damit die Ausgabe von offiziellen Zertifikaten und Abschlüssen versagt. Nun steht der nächste Winter vor der Tür und die herbstlichen Gewitter haben schon jetzt hunderte Zelte geflutet. Durch die Revolution wird die Inflation noch angeheizt und der Diesel zum Heizen, das Gas zum Kochen und die Lebensmittel selbst immer teurer.
Nachdem die Regierung uns Grünhelmen im vergangenen Frühjahr untersagt hat, weiterhin robuste Dächer für die Zelte von Geflüchteten-Familien zu bauen, um sie im Winter besser zu schützen, arbeiten wir nun vermehrt im Bildungsbereich. Derweil bauen wir eine neue kleine Schule, die von unserem Partner I am a human betrieben werden wird. 160 zusätzliche Schulplätze werden hier entstehen und so Bildung für Kinder ermöglicht, die ansonsten keinen Platz finden würden. Durch die engen Vorgaben der Regierung für Bauten für syrische Geflüchtete ist es eine Leichtbaukonstruktion, die binnen kürzester Zeit hochgezogen wird. Zuvor haben wir für die Schule von Edinburgh Direct Aid die Decke isoliert und abgehangen, damit dort auch im Winter Unterricht möglich ist. Ganz besondere Freude hat uns die Arbeit im Balsam-Center bereitet, die einzige Einrichtung weit und breit für Kinder mit Behinderung. Hier werden sowohl libanesische als auch syrische Kinder in Kleingruppen und mit besonderer Berücksichtigung ihrer speziellen Bedürfnisse betreut. Für diesen tollen Ort, in dem sich auch unsere Freund*innen von Edinburgh Direct Aid stark engagieren, haben wir den Außenbereich überdacht, sodass die Kinder fortan auch bei Regen frische Luft schnappen können und im Sommer vor der brütenden Hitze geschützt sind. Darüber hinaus haben wir unser Tischler-Ausbildungsprojekt nach Arsal verlegt und schulen nun 15 Syrer und Libanesen im Schreinerhandwerk (hierzu in Kürze mehr). Schlussendlich haben wir auch die finanzielle Unterstützung für die Schule unserer Partnerin SB Overseas für das kommende Schuljahr zugesagt, sodass auch hier weiterhin 180 Kinder unterrichtet werden können und es außerdem einen Kindergarten gibt.
Es bleibt viel zu tun in Arsal. Auch die libanesische Revolution, welche Richtung sie auch immer einschlagen wird, wird die Situation der syrischen Geflüchteten nicht wesentlich verbessern. Umso wichtiger ist die Unterstützung von außen. Wir sind für jede Spende dankbar.